Du hast das Fleisch deiner toten Geschwister gegessen

Du hast das Fleisch deiner toten Geschwister gegessen

Noch nie sah ich soviel Regen strömen wie heute. Viele machten sich nun einen schönen Abend und trafen sich bei ihrer Freundin Zuhause, um eine Kaffee zu trinken.

Safiyya war für ihr Treffen mit Kaffee und Kuchen neben dem warmen Kamin besonders bekannt.

„Habt ihr heute die Neue in der Schule gesehen? Die hat sich so sehr geschminkt, als wäre sie mit ihrem Gesicht in ihre Schminktasche gefallen.“, lachte Safiyya.

„Und ihre Klamotten. Bitte, wo kommt die denn her, aus den 80er oder was?!“, sagte Laila hochmütig.

Das war wie ein Ritual beim Treffen bei Safiyya. Die Frauen erzählten sich die neuesten Geschichten und ständig neue Gerüchte. Aber das Hauptthema ist das Verspotten von Leuten und über sie herzuziehen. Heute gesellte sich eine Mitschülerin namens Houda dazu.

„Warum seid ihr denn so gemein? Sie hat euch doch nichts angetan. Sie ist ein ganz netter Mensch“, sagte Houda.

„Wer hat die denn mitgebracht? Ich sagte doch, neue Leute machen doch nur Ärger und verderben einem den Spaß.“, flüsterte Houda ihren Freundinnen zu.

„Sie hat darauf bestanden. Was sollte ich ihr denn sagen.“, sagte Laila verärgert.

Houda stand wütend auf und holte neuen Kaffee. Als sie zurückkam, sah sie wie Laila und die anderen außer Houda sich anziehen.

„Wohin geht ihr denn so früh?, fragte Safiyya.

„Morgen steht uns doch eine Prüfung bevor, wir haben noch nichts gelernt. Tut uns leid Süße. Wir holen das morgen nach.“, sagte Laila.

Safiyya konnte es sich nicht verkneifen und wollte unbedingt, dass Houda verschwindet.

„Musst du auch nicht lernen?!“, sagte Safiyya mit einem arroganten Ton zu Houda.

„Nein, ich hab schon gelernt. Ich gewöhne es mir ständig an, eine Woche vorher zu lernen, damit ich einen Tag vor der Prüfung viel Ruhe haben kann.“, lächelte Houda.

Na toll, das heißt ja, dass ich den ganzen Abend mit einer Langweilerin verbringen kann. Womit habe ich das verdient?!

Safiyya setzte neuen Tee an, um so wenig Kontakt wie möglich mit Houda zu haben.

Houda trat in die große Küche ein. Der Kühlschrank war groß und neben ihm stand eine große Spülmaschine und daneben die modernste Waschmaschine. Sie hatte viele Hi-tech-Geräte in ihrer Küche. Die Wände waren rosa gestrichen und mit vielen Blumenmustern verziert. Von der Decke hing ein Korb mit Orchideen herab. Man erkennt sofort, dass dies von einer Frau ausgerichtet wurde.

Während Houda die Küche betrachtete, wurde Safiyya aggressiv.

Was macht die denn hier? Die hängt ja an mir wie eine Klette.

„Safiyya, was ist eigentlich der Sinn eures Treffens? Houda schaute sie fragend an.

„Ist das eine ernste Frage? Spaß haben natürlich und mit Freundinnen plaudern.“, sagte Safiyya.

„Bedeutet Spaß bei euch, das Lästern über andere Leute und über sie zu spotten?“, sagte Houda ernster.

„Worauf willst du hinaus, willst du mich etwa provozieren?! Oder was hast du vor?!“, antwortete Safiyya verärgert.

„Ihr seht doch sicherlich auch einen Sinn in eurem Leben, oder? Warum fastet ihr denn im heiligen Monat? Tut ihr das etwa nur, weil es eure Väter tun? Fasten bedeutet nicht nur Verzicht auf Essen, sondern auch das Zügeln der Zunge und Verzicht auf Spott und üble Nachrede. Wenn nicht, wurde dein Fasten gebrochen.“, sagte Houda mit ernstem Ton.

„Das interessiert mich alles nicht, weißt du ne? Es reicht jetzt, es ist spät geworden, ich denke es wird Zeit für dich nach Hause zu gehen Houda.“, erhob langsam Safiyya ihre Stimme.

„Du flüchtest doch nur vor der Wahrheit..“

„Geh jetzt, bitte!“, Safiyya erhob noch mehr ihre Stimme.

Houda bewegte sich in Richtung der Tür und zog ihren Mantel und ihre Schuhe an. Nun öffnete sie Tür und drehte sich mit ihrem Kopf seitlich zu Safiyya um. Diesen Blick konnte Safiyya nicht mehr vergessen. Houdas Augen strahlten nun in diesem Moment und sahen aus wie runde braune Perlen. Aber sie schaute mit sehr ernstem Gesicht, so hat noch keiner Houda erlebt.

„Du hast nicht nur üble Nachrede begangen, du hast das Fleisch deiner toten Schwester gegessen!“, sagte Houda, drehte sich um und ging hinaus.

Safiyya knallte sofort die Tür hinter ihr zu. Sie konnte sich nicht mehr halten. Ihr Gesicht lief rot an.

Ich habe was?! Das Fleisch meiner toten Schwester gegessen?! Was soll das denn heißen?

Sie vergleicht üble Nachrede damit? Wo hat sie das denn her? Mir egal!! Was interessiert es mich. Dann hab ich nun ihr Fleisch gegessen, dass ich nicht lache! […]

Safiyya machte sich auf den Weg zur Schule. Sie hatte Augenringe und etwas rote Augen.
Sie sah sehr müde aus vom wenigen Schlaf.

Warum konnte ich nur nicht schlafen? Mein Herz hat mich fast vor Schmerzen umgebracht.

Als Safiyya die Klasse betrat, ist ihr Blick sofort auf Houda gefallen. Houda sah immer sehr ruhig und gelassen aus. Ihr Gesicht leuchtete und ihr Blick sah oftmals sehr kraftvoll aus.

Warum sieht sie immer so aus, als hätte sie keine Sorgen und als hätte sie viel Kraft.

Wie schafft sie das bloß?

Safiyya packte ihr Gedicht aus. Das war die Hausaufgabe zum heutigen Deutschunterricht.

„Wer will seine Hausaufgaben vorlesen? Unser heutiges Thema ist ein Gedicht, mit dem Inhalt, das euch im persönlichen Leben beschäftigt.“, sagte die Lehrerin.

Sofort hob Houda ihre Hand. Sie wollte ihr Gedicht als Erste vortragen.

„Diese Schleimerin“, flüsterte Safiyya zu ihrer Tischnachbarin Laila.

„Ja, sie gehört zu den größten Strebern. Was fiel euch nur ein, sie gestern einzuladen, ihr..“

„Ruhe dahinten!“, unterbrach sie die Lehrerin.
Houda fing an ihre Hausaufgaben vorzutragen.

„Mein Thema lautet…“, sie holte tief Luft aus und schaute mich dabei an.
„Üble Nachrede!“

Safiyyas Herz fing sofort an zu schmerzen, als hätte sie ein Blitzschlag getroffen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen.

 

"Sagt jemand böses, hör es nicht;
tut jemand böses, sag es nicht;
geht jemand irr, so halt ihn an,
und sündigt er, vergib ihm dann“

 

Als Houda mit dem Gedicht fertig war, schaute sie Safiyya ernsthaft an, als würde sie wissen, was in Safiyya vorgehen würde.

 

Frau Rot ich habe noch ein Gedicht zu dem gleichen Thema, darf ich es auch vortragen?

 

„Du warst ja fleißig, ja natürlich. Das erste Gedicht hat mich schon begeistert.“

 

Was noch ein Gedicht, warum tut sie das, diese…! Wenn ich sie in die Finger bekomme, kann sie was erleben!

 

Houda packte ihr anderes Blatt aus und fing an vorzulesen.

 

„Den Sinn des Lebens verstehen sie nicht

mit dem Einen ständig ihr Versprechen sie bricht,

 

das Leben nur noch aus Sinnlosem bestehe

wenn du so verendest, oh dir wehe,

Zeit, nur mit übler Nachrede sie verbringe

und ihr Herz bei Spott nur so aufspringe,

nichts davon wird ihr am Ende nützen

keiner ihrer Spottgefährten werden sie unterstützen,

Spott hier, Spott da, aber nicht in der Ewigkeit
Nur noch von Ihm, dann ihre Abhängigkeit,

verdammt wird sie sein

gegenüber ihren Herren, nur noch winzig klein,

oh wehe dir, oh wehe dir
komme mit mir,

willst du etwa nicht ins Licht?

Erfülle doch nur deine Pflicht,

oder mach nur weiter so

hier wirst du sein froh,

lästerst hier und genießt deinen Wein

am Ende wirst du Brennstoff sein, wie der Stein,

Keiner wird für dich jetzt da sein,

da stehst du nun, ganz Allein!“

Alle schauten Houda geschockt an, aber Houda lachte und sah so aus, als würde eine Last von ihr abgefallen sein.

Mir wurde schwarz vor Augen, als sähe ich den Tod vor mir und als würde mir das bevorstehen, was sie gelesen hat. Mir liefen Tränen über die Augen.
Safiyya rannte hinaus, um nicht gesehen zu werden. […]

Safiyya machte sich am nächsten Tag bereit für die Schule und hoffte darauf, nicht mehr an den gestrigen Tag zu denken.

„Safiyya, wohin gehst du? Heute ist die Beerdigung deines Onkels. Ich weiß, du hast ihn nicht sehr gemocht und er war ein alter Idiot, aber ich habe in der Schule angerufen und für dich frei genommen.“, sagte Safiyyas Mutter.

Das ist ja noch besser, jetzt muss ich Houda nicht sehen und kann mich ein bisschen ablenken.

Als Safiyya mit ihrer Familie bei der Beerdigung war, schaute sie noch mal in sein Grab hinein und lachte über ihn und dachte sich „der hat nichts Anderes verdient“.

Als Safiyya auf ihn hinabschaute, merkte sie, dass etwas über ihre Hand lief. Sie schaute auf ihre Hand und sah Blut. Sie fing an zu schreien und bekam einen Schock. Als sie sich zu ihrer Mutter drehte, sah sie wie ihre Mutter das tote Fleisch ihres Onkels packte und es verschlang.

„Komm Safiyya, nimm auch ein Stück. Du hast ja schon sehr viel Fleisch von seinem toten Körper gegessen.“

„Was ist in dich gefahren! Was ist hier los?!“

Der tote Körper ihres Onkels erwachte und er erhob sich aus seinem Sarg. Er griff Safiyyas Hand und steckte sie in seinem Gedärme und griff damit nach einem seiner Organe.

„Hier Safiyya iss, das hast du noch nicht gegessen! Niemals hast du dich bei mir entschuldigt, nimm das, was du haben wolltest. Du wolltest mein totes Fleisch essen!“
Safiyya wurde schwindlig und sie kippte um.

„Safiyya was ist los, Safiyya?“
Als Safiyya ihre Augen öffnete, sah sie ihre Mutter.

„Nein, lass mich los, das ist widerlich, was du getan hast. Ich will nicht mehr!!!“

„Was ist denn los Safiyya, du hattest wohl einen Albtraum. Steh jetzt auf, du musst zur Schule sonst kommst du noch zu spät!“ , Safiyyas Mutter ging verärgert aus dem Zimmer.

Ach das war nur ein Traum. Der hat sich so lebensecht angefühlt. Was soll ich nur machen, ich kann nicht mehr schlafen. Was mache ich mir nur vor, das ist ein Zeichen.

Safiyya brach in Tränen aus und schrie. „Oh Herr, vergib mir bitte, ich bin unwissend und ein dummer Mensch. Bitte vergib mir...“ […]

Safiyya blieb zu Hause und wollte sich ausruhen. Houda kam Safiyya besuchen und klopfte an die Tür, um nach ihr zu sehen.

„Schatz, Houda ist da, soll ich sie reinlassen?“

„Ja Mama, lass sie ruhig rein.“

Sie ist jetzt denk ich mal die einzige Person, die mir helfen kann.

„Hey Safiyya, tut mir leid, dass ich störe, aber ich hab mir Sorgen gemacht und dachte es wäre dir etwas zugestoßen, weil es dir anscheinend gestern nicht so gut ging.“, fragte Houda besorgt.
Safiyya liefen die Tränen über das Gesicht.

„Oh nein, habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein, aber das haben noch nie meine Freunde für mich getan. Nie hat Jemand nach mir gefragt, wenn ich nicht in der Schule war oder es mir schlecht ging. Houda, bitte hilf mir, ich bereue alles, was ich getan habe. Ich gehe nicht raus, bis ich weiß, was ich tun soll.

Reicht meine Reue aus? Was soll ich tun, damit mir verziehen wird.“

Houda schloss ihre Augen und lächelte, als würde ihr warm ums Herz werden.

„Ich denke mal, du meinst die Reue bezüglich der üblen Nachrede?“, fragte Houda erleichtert.
„Ja genau!“

„Das Einzige, was du machen kannst, ist dich bei diesen Leuten zu entschuldigen. Fang am Besten bei der neuen Schülerin an.“, sagte Houda mit heller Stimme.
Safiyya zog sich an und sprang aus ihrem Bett heraus.

„Wohin gehst du Safiyya? Ich denke, du bist krank?“, schaute sie Houda fragend an.

„Ich gehe mich bei der Neuen entschuldigen, was denn sonst?“, antwortete Safiyya mit freudiger und kraftvoller Stimme.

„Ich komme gerne mit, aber kann das nicht bis morgen warten?“

Safiyya packte Houda an ihre Hand, zog sie mit zur Tür, zwinkerte ihr mit dem rechten Auge zu uns sagte:

„Wer sagt mir, ob ich noch morgen leben werde und wo ich morgen aufwachen werde.

Ich will heute alles gut machen, und mein Versprechen an meinen Herren erfüllen.“

Die Erleuchtung kann so schnell kommen, ich danke Ihm, dass Er mir Houda geschickt hat.

Wer hätte gedacht, dass üble Nachrede so schlimm ist. Ich hoffe, wir schaffen es alle von dieser schlimmen Sache abzulassen, oder willst du gerne das tote Fleisch deines Bruders essen? […]


Ende!

Amina



© Die Wahrheit im Herzen

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