Sarah, das erleuchtete Leben

Sarah, das erleuchtete Leben

 

Die Ampel ist auf rot. Die Straße voll mit Autos. Es ist nicht mehr viel Zeit bis zu unserem Treffen. Verflixte Ampel! Wäre ich nur in der ersten Reihe, dann wäre ich über Rot gefahren.

Die Sekunden verstrichen wie lange Minuten, ja sogar wie Stunden. Ich schaue immer wieder abwechselnd auf die Ampel, dann auf die Uhr. Endlich! Es ist grün! Ich hielt die Hupe gedrückt, drängelte mich nach vorne.

 

Überholte den einen, mit dem anderen wäre ich beinahe zusammengestoßen. Meine Fahrweise erschrak alle anderen Verkehrsteilnehmer. Ich versuchte, rechtzeitig zu meinen Freunden zu kommen. Ich schaffte es nicht. Meine Freunde, mit denen ich verabredet war, sind schon weg. Aber wohin? Ich fluchte. Hätte ich nur gewusst wo sie hingehen! Mein Auto fuhr langsam weiter. Ich dachte nach, was ich nun tun sollte. Schließlich entschied ich mich, den Abend zu Hause zu verbringen.

Das wäre eine gute Idee, denn meine Tochter ist krank und es wäre besser, wenn ich bei ihr bliebe. Ich parkte das Auto vor der Videothek und lieh mir einige Filme aus, dann fuhr ich nach Hause.

Kaum betrat ich unsere Wohnung, schon rief ich nach meiner Frau, sie solle Tee und Kartoffelchips holen. Ich dachte mir: "Was für eine komplizierte Frau. Gleich wird sie loslegen: "Ahmed, fürchte Allah!" Mittlerweile habe ich mich an ihren gutgemeinten Rat gewöhnt und dieser Satz löst keine weiteren Gedanken mehr in mir aus. Immerhin ist sie eine wundervolle Ehefrau. Gutmütig und treu.

Sie betrat das Wohnzimmer und brachte wie bestellt den Tee und die Kartoffelchips. Sie lächelte mich an und sagte: "Endlich hast du deine Freunde satt und verbringst einmal den Abend mit uns!" Ich bejahte und sagte ihr: "komm und setz dich zu mir." Sie freute sich sichtlich und wollte sich eben hinsetzen, als ich den Fernseher und den DVD Player einschaltete. Und schon begann die Musik zu spielen.

Die Arme senkte ihren Kopf und sagte leise: "Ahmed, fürchte Allah", und ging traurig und frustriert aus dem Zimmer. Ich schaute weiter Fern.

Heute denke ich mir: "hättest du bloß auf deine wundervolle Ehefrau gehört. Sie reichte dir ihre Hand, um dich vor dem Ertrinken in den Sümpfen der Sünden zu retten; und du hast sie zurückgewiesen."

 

Mittlerweile wurde es laut bei mir im Zimmer: Musik, Gelächter, Geschrei...

Meine Augen fixierten sich auf diesen Bildschirm. Die erste DVD war zu Ende. Die Uhr zeigte auf drei Uhr morgens. Plötzlich bewegte sich der Türknauf langsam. Ich schrie: "Was willst du?!" - Stille.

Die Tür öffnete sich und meine kranke Tochter Sarah stand an der Tür. Ich war überrascht und hielt inne. Sie kam näher zu mir und sagte in aller Ruhe: "Schäm dich Papa; fürchte Allah, Papa fürchte Allah!" - Dann ging sie und schloss die Tür hinter sich. Ich rief nach ihr: "Sarah, Sarah…" keine Antwort. Ich ging ihr hinterher.

Ich konnte es kaum glauben: "War das eben meine Tochter?" Ich öffnete die Tür des Schlafzimmers, aber sie war schon wieder neben ihrer Mutter eingeschlafen. Ich ging ins Wohnzimmer zurück und schaltete die Geräte ab.

Die Stimme meiner Tochter klang immer noch in meinen Ohren: "Schäm dich Papa und fürchte Allah, Papa fürchte Allah!" Ich bekam eine Gänsehaut, Schweissperlen bildeten sich auf meiner Stirn, ich wusste nicht was mit mir passierte. Ich konnte nur noch ihre Stimme in mir hören. Ich konnte nur noch Sarah vor mir sehen, wie sie mich bemitleidend ansah...

Ihre Worte rissen alle Blockaden hinsichtlich dieses Satzes: "Fürchte Allah, fürchte Allah" ab. Ihre Worte erinnerten mich an alles, was ich seit geraumer Zeit vernachlässigt hatte: Das Gebet, meine Familie, die Muslime. Dafür habe ich geraucht, unmoralische Filme geschaut, gesündigt.

Sarah, mit ihren Worten, weckte mich von meinem jahrelangen mentalen Schlaf auf. Mein Herz pochte, ich legte mich auf den Boden. Ich versuchte zu schlafen - vergebens. Die Zeit verstrich in Windeseile. Mein verlorenes Leben lief vor meinen Augen wie ein Film ab. Immer wieder höre ich meine Tochter: "Fürchte Allah, fürchte Allah." Schließlich: Der Azan ertönte. Ich zuckte zusammen und begann erneut zu schwitzen. Wie oft hatte ich meine Ohren vor dem Gebetsruf verschlossen und ignoriert.

"Das Gebet ist besser als der Schlaf!" Ich sagte mir: "Recht hat er! Das Gebet ist besser als der Schlaf!" Ich habe zu lange geschlafen. all diese Jahre.

Nach der Waschung machte ich mich auf den Weg in die Moschee. Ich betrat die Moschee, betete zwei Einheiten zur Begrüßung und setzte mich zum Quranlesen. Meine Stimme verschlug sich ... seit wie lange habe ich keinen Quran gelesen?! Es war, als ob mich der Quran fragen würde: "Warum hast du mich all diese Jahre nicht gelesen? Ich bin doch das Wort deines Herrn!"
Ich lass zufällig in Surat Al-Zumar: "Sprich: O meine Diener, die ihr euch gegen eure eigenen Seelen vergangen habt, verzweifelt nicht an Allahs Barmherzigkeit, denn Allah vergibt alle Sünden; Er ist der Allverzeihende, der Barmherzige."

Ich dachte mir voller Bewunderung: "Wie großzügig ist wohl Allahs Barmherzigkeit.Subhana llah!" Ich wünschte mir, ich könnte meine Lesung fortsetzen, wir wurden aber zum Gebet aufgerufen. Ich stellte mich neben meine Brüder in der Reihe auf. Ich kam mir fremd vor zwischen ihnen.

Nach dem Gebet blieb ich in der Moschee sitzen, bis zum Sonnenaufgang, dann ging ich nach Hause. Ich warf ein Blick auf meine Frau und auf Sarah. Sie schliefen noch. Dann ging ich zur Arbeit. Es ist nicht meine Gewohnheit, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Meine Kollegen wunderten sich als ich mein Büro betrat. Einige beglückwünschten mich belustigt für das erstmalige Pünktlich kommen. Ich wartete auf Ibrahim, mein treuer Arbeitskollege, der mir oft gute Ratschläge gegeben hat. Er ist eine liebenswerte Person mit guten Manieren und sanfter Umgangsweise. Endlich kam Ibrahim! Ich stand auf um ihn zu begrüßen. Er traute seinen Augen nicht.

Ich nahm seine Hand bevor er etwas sagen konnte und drängte auf ein Gespräch mit ihm. Er schlug vor, in sein Büro das Gespräch zu führen, aber ich bevorzugte den Aufenthaltsraum und nahm ihn mit mir dorthin.

Ibrahim schwieg und hörte mir aufmerksam zu. Ich erzählte ihm die Geschehnisse des gestrigen Abends und der gestrigen Nacht. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er lächelte: "Dies ist ein Licht, dass nun endlich dein Herz erfüllt hat. So lösche es nicht erneut mit den Dunkelheiten der Sünden. Es war ein aufschlussreicher Tag. Ich fühlte mich aktiver und produktiver bei der Arbeit wie lange nicht mehr, trotz meiner schlaflosen Nacht. Einige Kollegen fragten mich verwundert, woher ich all diese Aktivität und Motivation herhabe. Ich antwortete ihnen: "Es ist das Morgengebet in der Moschee!"

Armer Ibrahim! Er ertrug geduldig die Überstunden und das viele Arbeiten all diese Zeit. All die Arbeit, die ich durch mein zu spät kommen versäumt hatte, erledigte er für mich. Er beschwerte sich nicht einmal. Was für ein netter Kerl. Ja! Es ist der Glaube, wenn sein Licht die Herzen erfüllt...

Die Zeit verging und ich fühlte keinerlei Müdigkeit oder Erschöpfung. Ibrahim sagte mir: "Ahmed, du solltest lieber nach Hause gehen und dich ausruhen. Ich werde für dich den Rest der Arbeit erledigen in sha Allah."

Gleich ist es Zeit für das Mittagsgebet. Ich eilte in die Moschee, setzte mich in der ersten Reihe hin. Ich bereute all die Tage, in denen ich vor dem Gebet geflohen bin und auf der Toilette eine Zigarette geraucht hatte.

Nach dem Gebet fuhr ich nach Hause. Auf dem Weg überkam mich ein Gefühl der Besorgnis. Ich sorgte mich plötzlich um Sarah. Wie es ihr wohl geht? Ich fühlte einen seltsamen Druck in der Brust. Ich hatte eine Sehnsucht nach ihr. Ich wollte sie unbedingt in die Arme schließen und ihr und meiner Frau für dieses Wiedererwachen danken ... Der Weg nach Hause kam mir diesmal sehr lang vor. Meine Angst nahm zu. Irgendetwas muss geschehen sein. Ich richtete mein Blick gen Himmel und bat Allah, meine Tochter Sarah zu heilen.

Endlich kam ich zu Hause an. Ich rief nach meiner Frau ... keine Antwort. Als ich die Tür ihres Zimmers öffnete, saß sie zusammengekauert auf dem Bett und weinte. Sie schaute mich tränenüberströmt an und schrie: "Sarah ist tot!“ Ich konnte nicht glauben, was sie da sagte und rannte zu Sarah, nahm sie in die Arme und drückte sie an mich. sie fühlte sich erschreckend kalt an.

Ich versuchte verzweifelt ihr Puls oder Herzschlag zu fühlen. nichts! Ich betrachtete unter Tränen ihr wunderschönes Gesicht. wie ein schimmernder Diamant. Ihre Mutter schrie: "Sarah, Sarah ..." und brach weinend zusammen.

Ich war vor Schock regungslos.wie in einem Traum. Tränen flossen meine Wangen herunter. Ich strich ihr über ihre weiche Stirn und über ihr samtes Haar. Ihre letzten Worte dröhnten immer noch in meinen Ohren: "Schäm dich Papa, fürchte Allah, Papa fürchte Allah!"

Ich kam wieder zu mir und sagte immer wieder: "Wir gehören Allah und zu Ihm wird die Rückkehr sein; wir gehören Allah und zu Ihm wird die Rückkehr sein. Sofort rief ich Ibrahim an und flehte ihn an, er solle schnell kommen, Sarah sei tot!

Einige Freundinnen meiner Frau befanden sich im Nebenzimmer und wuschen Sarah, dann wickelten sie ihren reinen Körper in ein weißes Tuch. Ich ging ins Zimmer, um Sarah ein letztes Mal zu sehen. Um mich von ihr zu verabschieden. Fast hätte ich mein Gleichgewicht verloren und wäre gestürzt.

Ich küsste sie auf die Stirn und versprach ihr, bis zum Tode standhaft zu bleiben. Dann wandte ich mich an ihre Mutter, nahm sie in die Arme und sagte ihr unter Tränen: "Sei nicht traurig, denn sie ist nun im Paradies so Allah will; und dort werden wir sie wiedersehen ... Daraufhin beteten wir das Totengebet für sie. und trugen sie zum Friedhof. Ich schaue zu ihr, wie sie auf den Schultern der Männer zu Grabe getragen wird und sehe sie als das Licht, das mir mein Leben erleuchtete.

Der Friedhof war beängstigend, man fühlte die Einsamkeit, die Kälte dieses Ortes. Ich stand am Rande des Grabes, der für meine Tochter bestimmt war.

Hier soll ich meine Tochter Sarah alleine lassen?! Ibrahim hielt meine Schulter und sagte: "Sei geduldig Ahmed."

Ich stieg ins Grab. Es ist deine Wohnstatt, Ahmed. Heute oder Morgen. Was hast du für diese Wohnstatt vorbereitet? Sie reichten mir meine Tochter, ich drückte sie noch ein letztes Mal zu meiner Brust, ich wünschte, ich könnte sie in meine Brust begraben.

Dann legte ich sie ins Grab. auf ihrer rechten Seite und sagte:

"Im Namen Allahs und auf die Religion von Allahs Gesandten."

Ich stieg hinauf. die Leute begannen, Erde auf meine Tochter zu schütten. Ibrahim sagte: "Danke Allah, der dich mit dem Tod deiner Tochter wieder zum Leben auferweckt hat!"

Ich stand lange bei Sarah. sehr lange, bis mich Ibrahim nach draußen führte.

 


© Die Wahrheit im Herzen

Drucken E-Mail